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VOLLMACHT

Dem Anspruch der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage, die einzig wahre und lebendige Kirche auf der Erde zu sein, liegt das Konzept der Vollmacht zugrunde. Präsident Joseph F. Smith gibt den HLT-Glauben gut wider: „Alles hängt von der Frage der Vollmacht ab. Keine Verordnung ohne göttliche Vollmacht kann von Gott akzeptiert werden. Jemand kann auch noch so inbrünstig glauben oder beten, sofern er nicht die von Gott gegebene Vollmacht besitzt, kann er nur in seinem eigenen Namen handeln, aber nicht legal oder auf annehmbare Weise im Namen Jesu Christi, in dessen Namen alles getan werden muss“ (Smith, S. 102). 

Da in den Schriften mehrere verschiedene Definitionen mit Vollmacht in Verbindung gebracht werden, ist diese  Lehre oft missverstanden worden:

1. Vollmacht bezieht sich auf formalisierte Macht in Zusammenhang mit einer Position, Funktion oder gesetzlichen Bestimmung. Beispiele dafür sind die  Joseph in Ägypten vom Pharaoh gegebene Vollmacht (Gen. 41:40-41), der Mann, der seinen Dienern Verfügungsmacht über sein Haus gab, als er fortging (Mk 13:34), und Kirchenbeamte, denen Vollmacht über Mitglieder gegeben wird (Mt. 8:9, LuB 107:8). Vollmacht in diesen Fällen übernimmt die Kontrolle aufgrund der zugewiesenen Position.

2. Vollmacht ist Stärke, Macht oder Kontrolle von Ressourcen. Dies zeigt sich in der Macht, die die Philister über die Juden ausübten (Richter 15) und in Roms Kontrolle über Judäa zur Zeit Christi (Mt. 27:2). Vollmacht in diesem Sinne ist gleichbedeutend mit Überlegenheit oder Prestige im Vergleich zu jemand anderem aufgrund von Errungenschaften, Besitztümern oder physischer Stärke.

3. Vollmacht ist Sachverstand, wie in dem Fall eines Fachexperten. Beispiele dafür sind unter anderem die Vollmacht, die dem zwölfjährigen Jesus aufgrund seines Lehrens im Tempel zugeschrieben wurde (Lk 2:42, 46-47), und die Vollmacht in Verbindung mit dem Predigen solcher Propheten wie Nephi I, Lehi, Abinadi und die Söhne Mosia II (Mosia 13:6, Alma 17:3, Hel. 5:18).

4. Vollmacht ist ein göttlicher Auftrag oder eine Berufung von Gott. Zum Beispiel gab Jesus seinen Aposteln die spezifische Vollmacht, sein Evangelium zu verkünden und auszuführen (Mt. 10:1, Joh 15:16, 3 Ne. 12:1), und bestimmte Personen wurden ermächtigt zu taufen und durch seine Vollmacht Wunder zu vollbringen (Apg 5:12-16, 8:5-17, Alma 5:3, Mosia 18:13, 18, Moro. 2:1-3). Wie Jesus Christus verdeutlichte, bedeutete diese Vollmacht, dass auf der Erde vollzogene Verordnungen im Himmel anerkannt würden und dass andererseits etwas auf der Erde aufzulösen (eine Verordnung aufzuheben) bedeuten würde, dass es im Himmel aufgelöst ist (Mt. 16:19). In den Schriften wird diese Art von Vollmacht Priestertum genannt (Hebr. 7:11-12, 14, 24, 1 Petr. 2:5, 9, LuB 84:107).

Dass diese Bedeutungen oft verwechselt worden sind, zeigt sich am Beispiel der Schriftgelehrten, die Jesus in Bezug auf seine eigene Vollmacht befragten: „Wer hat dir dazu die Vollmacht gegeben?“ (Mt. 21:23-27). Ist deine Vollmacht politischer Natur (Definition 1) oder Kraft aus der Höhe (Definition 4)? fragten sie.

Wie Christi Vollmacht auf Kraft aus der Höhe basierte, so gründet die Kirche ihren Anspruch, die einzig wahre und lebende Kirche zu sein darauf, von Gott die Vollmacht zu haben in seinem Namen zu handeln. Diese Vollmacht unterscheidet die Kirche von allen anderen. Andere Systeme und Organisationen besitzen vielleicht andere Arten der Vollmacht, aber die mit Christi Kirche verbundene göttliche Vollmacht, das Priestertum, steht nur dieser einen zu.

Eine Erklärung der Eigenschaften göttlicher Vollmacht stellt die Ansprüche der Kirche klar. Erstens „nimmt sich keiner eigenmächtig diese Würde, sondern er wird von Gott berufen, so wie Aaron“ (Hebr. 5:4). Göttliche Vollmacht kann man nicht durch Lernen, einen Schulabschluss oder den einfachen Wunsch erlangen (Apg 19:13-16). Vollmacht muss auf die durch Gott vorgeschriebene Weise erlangt werden, wie es bei Aaron der Fall war (Ex. 28:41). 

Zweitens erhält man die Vollmacht im Namen Gottes zu handeln durch das Händeauflegen einer Person, die selber schon diese Vollmacht oder dieses Priestertum innehat (1 Tim. 4:14, 2 Tim. 1:6, Moro. 2:1-3, Dtn. 34:9). Simon zum Beispiel hatte den Wunsch die Vollmacht der Apostel zu erkaufen, wie er es vielleicht mit anderen Arten der Vollmacht getan hätte. Petrus verdammte ihn dafür, die „Gabe Gottes“ mit Geld kaufen zu wollen (Apg 8:14-20).

Drittens sind Verordnungen, die in der Kirche vollzogen werden, nur geistig bindend, wenn sie unter dieser von Gott gegebenen Vollmacht vollzogen und auf die angemessene Art empfangen werden (Mosia 23:17, LuB 20:73, 132:13, 2 Sam. 6:6-7). Zum Beispiel taufte Paulus bestimmte Epheser ein zweites Mal, die vorher von einer nicht bevollmächtigten Person getauft worden waren (Apg 19:1-6). König Limhi und viele seiner Anhänger wurden zu Christus bekehrt und wollten sich taufen lassen, aber sie warteten damit, diese Verordnung zu empfangen, weil sich der Bevollmächtigte nicht für würdig hielt (Mosia 21:33-35). 

Eine vierte Tatsache über die göttliche Vollmacht ist, dass sie einige Zeit nach der Auferstehung und Himmelfahrt Christi von der Erde verlorenging (Siehe Abfall), so dass eine Wiederherstellung göttlicher Vollmacht nötig war (2 Thess. 2:1-4, 1 Tim. 4:1-3, 2 Tim. 3:1-7). 1829 übertrugen himmlische Boten, die vorher durch Christus selber mit göttlicher Vollmacht versehen worden waren, als Teil der Wiederherstellung der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage Vollmacht auf Joseph Smith und Oliver Cowdery (Siehe Aaronisches Priestertum: Wiederherstellung, Melchisedekisches Priestertum: Wiederherstellung). Zu dieser Vollmacht ordinierte Mitglieder der Kirche schreiben heutzutage ihre persönliche „Vollmachtslinie“ auf. Dieses Dokument beschreibt die Ordinierungen in einer verbundenen Linie ihrer Priestertumsvollmacht, die bis zu Jesus Christus zurückreicht.

Fünftens, die Vollmacht zu präsidieren ist nur dann wirksam für die betreffende Person, wenn die Mitglieder der Kirche ihr in einer öffentlichen Versammlung ihre Zustimmung geben (LuB 20:65, 26:2, 42:11). 

Missbrauch der Vollmacht und Autoritarismus sind bei allen organisierten Systemen zu erwarten. Solch ein Missbrauch ist besonders mit Vollmacht verbunden, die allein auf Position, Stärke oder Wissen basiert. Organisationen wie die Kirche werden manchmal von Außenstehenden als autoritär angesehen, vor allem wegen Unklarheit in Bezug auf die verschiedenen Bedeutungen des Wortes Vollmacht. Falls Vollmacht in der Kirche auf Politik, persönlichen Eigenschaften oder Fachkenntnissen basierte, dann hätte der Vorwurf des Autoritarismus einige Gültigkeit. Jedoch ist göttliche Vollmacht (Definition 4) untrennbar mit den Grundsätzen der Rechtschaffenheit verbunden, und wenn wir „versuchen, unsere Sünden zu verdecken oder unseren Stolz und eitlen Ehrgeiz zu befriedigen, oder wenn wir auch nur mit dem geringsten Maß von Unrecht irgendwelche Gewalt, Herrschaft oder Nötigung auf die Seele der Menschenkinder ausüben wollen—siehe, dann ziehen sich die Himmel zurück, der Geist des Herrn ist betrübt, und wenn er weggenommen wird, dann ist es mit dem Priestertum oder der Vollmacht des Betreffenden zu Ende“ (LuB 121:37).

Mitglieder der Kirche wissen, dass die Ausübung göttlicher Vollmacht die Veranwortung beinhaltet, Menschen zu segnen und sich um ihr Wohlergehen zu kümmern. Der angemessene Gebrauch dieser Vollmacht verträgt sich nicht mit einer autoritären Einstellung und dem Missbrauch von Vollmacht, daher finden sich die negativen Assoziationen zu Vollmacht im Allgemeinen nicht in der Kirche.

BIBLIOGRAPHIE

Ehat, Andrew F. und Lyndon W. Cook, Hgg. The Words of Joseph Smith. Provo, Utah, 1980.
Richards, LeGrand. A Marvelous Work and a Wonder. Salt Lake City, 1968.
Smith, Joseph F. Gospel Doctrine. Salt Lake City, 1977.
Talmage, James E. AF. Salt Lake City, 1977.

KIM S. CAMERON