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KIRCHE UND STAAT

Heilige der Letzten Tage glauben, dass die Trennung von Kirche und Staat in modernen Gesellschaften vor dem Millenium notwendig ist. HLT Schriften lehren, dass weder Zivilgesetze mit religiösen Praktiken in Konflikt geraten, noch religiöse Institutionen Regierungen zu ihrem Vorteil manipulieren sollten. Viele Lehren der HLT betonen die Rolle von Regierungen bei der Erhaltung individueller Gewissensfreiheit. Die Kirche ist in Ländern mit verschiedenen Formen von Regierungen aktiv und ermutigt ihre Mitglieder, sich an zivilen Angelegenheiten zu beteiligen und die Gesetze des Landes zu ehren (siehe Zivile Pflichten). Die Praktiken der HLT im isolierten frühen Utah tendierten mehr dazu, befürwortend und theokratisch zu sein und waren im 20. Jahrhundert separationistischer.

Diskurse innerhalb der Kirche zu Angelegenheiten der Kirche verlaufen auf mindestens zwei Ebenen: (1) in Diskussionen historischer und zeitgenössischer Beziehungen zwischen Kirche und Staat und (2) in Diskussionen idealer Umweltbedingungen, wie solcher, die im Millenium herrschen werden, wenn „Christus persönlich auf der Erde regieren wird“ (A von F 10) oder im Celestialen Reich.

Die Prinzipien der Entscheidungs- und Gewissensfreiheit, welche für die HLT Kirche-Staat Theorie grundlegend sind, sind auf beiden Ebenen des Diskurses beständig. Allerdings unterscheiden sich die institutionellen Implikationen dieser Prinzipien in den beiden Umweltbedingungen. In der gegenwärtigen Welt, wo Gläubige den Unvollkommenheiten menschlicher Regierungen unterliegen, ist die Trennung von Kirche und Staat für den Schutz religiöser Freiheit lebenswichtig. Im Gegensatz dazu erhoffen Heilige der Letzten Tage auf der idealen Ebene integriertere theokratische, oder was Joseph Smith „theodemokratische“ Institutionen nannte (T&S 5 [15. April, 1844]:510), sowohl wegen der innewohnenden Legitimität göttlicher Herrschaft, als auch weil die Teilnehmer von Gesellschaften des Milleniums oder des celestialen Reiches willens sind, eine solche Herrschaft zu akzeptieren. Trotzdem haben HLT Propheten beständig gelehrt, dass Gewissensfreiheit sogar in der Gesellschaft des Milleniums respektiert werden wird. Beispielsweise erklärte Brigham Young: „Im Millenium werden die Menschen das Vorrecht zu ihrem eigenen Glauben haben“ (JD 12:274; vgl. DS 3:63-64). Die Kirche befürwortet keine Theokratie in der Welt vor dem Millenium. Sie weist Mitglieder an, „den bestehenden Mächten untertan [zu sein], bis derjenige regiert, dessen Recht es ist zu regieren“ (LuB 58:22) – das heißt, bis Christus kommt.

In der Zwischenzeit gelten einige Prinzipien. Wie oben angegeben, ist die grundlegende Annahme, dass Menschen Entscheidungsfreiheit haben und eine Anzahl innewohnender Menschenrechte, besonders erwähnenswert „die freie Ausübung des Gewissens“ (LuB 134:2). Die Kirche verkündet: „Wir glauben, dass die Religion von Gott eingerichtet worden ist und daß die Menschen ihm, und nur ihm, für die Ausübung derselben verantwortlich sind, sofern ihre religiösen Ansichten sie nicht dazu veranlassen, die Rechte und Freiheiten anderer zu verletzten; ...daß staatliche Behörden das Verbrechen unterbinden sollen, aber niemals das Gewissen überwachen; Missetat bestrafen sollen, aber niemals die Freiheit der Seele unterdrücken“ (LuB 134:4). Diese Anerkennung der Gewissensfreiheit schließt eine Verpflichtung zu Toleranz ein, wie es im 11. Glaubensartikel der Kirche betont wird: „Wir beanspruchen das Recht, den Allmächtigen Gott zu verehren, wie es uns das eigene Gewissen gebietet, und gestehen allen Menschen das gleiche Recht zu, mögen sie verehren, wie oder wo oder was sie wollen.“

Die logische Folge von Gewissensfreiheit ist, dass das menschliche Gesetz nicht das Recht hat „sich einzumischen und Regeln für die Gottesverehrung vorzuschreiben, um Gewissenszwang auszuüben oder Formen öffentlicher oder privater Gottesverehrung zu diktieren“ (LuB 134:4). Dieses Prinzip der Nichtintervention des Staates in religiösen Angelegenheiten versteht sich als Verbot der Einmischung in individuelle Praktiken, aber auch in die Autonomie der Kirche als eine Institution, die ihre religiösen Ziele verfolgt. In dieser Hinsicht wurde die Stellungnahme der Kirche im U.S. Supreme Court (Oberstes Bundesgericht der USA) in Corporation of the Presiding Bishop of the Church of Jesus Christ of Latter-day Saints et al. v. Amos et al.(483 U.S. 327 [1987]) gerechtfertigt und stimmt mit dem internationalen Verständnis religiöser Freiheit überein (e.g. Principle 16 of the Concluding Document of the Vienna Meeting of the Conference on Security and Co-operation in Europe [1989]). Im Einklang mit dieser Stellungnahme glaubt die Kirche an die Aufrechterhaltung strenger Unabhängigkeit für sich selbst und angehörige Institutionen, wie von der Kirche gesponsorte Schulen und Universitäten. Demgemäß nimmt die Kirche wegen der eigentlichen oder potentiellen regulierenden Einmischung, die diese nach sich ziehen mögen, keine direkte Hilfe oder Subventionen von staatlichen Quellen an.

Die Kirche ist auch von Seiten der Religion aus verpflichtet, Kirche und Staat zu trennen. „Wir glauben nicht, dass es Recht ist, religiöse Einflussnahme und staatliche Regierung zu vermischen, wodurch die eine Religionsgemeinschaft begünstigt, die andere aber in ihren geistigen Freiheiten beschnitten würde und ihren Mitgliedern die persönlichen Rechte als Bürger verweigert würden“ (LuB 134:9). Dies bedeutet nicht, dass die Kirche davon ausgeschlossen ist, eine Stellung in moralischen und anderen Angelegenheiten zu beziehen, wenn hinter einer solchen Handlung eine gewissenhafte Motivation steckt. Weder müssen religiöse Wertvorstellungen nicht bis zum Rande des öffentlichen Lebens gestoßen werden, noch heisst es, dass die Kirche einen direkten Einfluss auf den Staat haben kann, aufgrund der Bemühungen, religiöse Prinzipien zu lehren und einen positiven Beitrag zum Leben ihrer Mitglieder zu leisten. Das bedeutet nicht, dass es für eine religiöse Organisation unangebracht sei, die Maschinerie weltlicher Macht zu manipulieren, um Vorteile für sich selbst oder Nachteile für andere zu besorgen.  

Die Kirche wird nicht als weltliche Organisation angesehen. Sie macht sich legale Strukturen zunutze, wie beispielsweise korporative oder andere organisatorische Einheiten, die für sie in verschiedenen Ländern verfügbar sind, um ihre zeitlichen Angelegenheiten zu regeln. Dabei hält sich die Kirche an alle legalen Erfordernisse, welche dies nach sich zieht, jedoch hängt ihre geistige Vollmacht von keiner weltlichen Institution ab. Heilige der Letzten Tage glauben, dass ihre Kirche von Gott durch Propheten und Apostel aufgebaut und geführt wird, welche die Schlüssel und die nötige Priestertumsvollmacht haben, um Evangeliumswahrheiten zu lehren und die zur Erlösung und Erhöhung erforderlicher Verordnungen zu vollziehen.

Die Kirche lehrt von der Wichtigkeit einer Regierung  und fordert ihre Mitglieder dazu auf, sich an das Gesetz des Landes zu halten, wo auch immer sie leben. Menschliche Regierungen und Gesetze sind zugegebenermaßen nicht perfekt, aber sie spielen eine wichtige Rolle bei der Haltung von Ordnung und der Sorge um stabile Umstände, in denen Einzelne nach Wahrheit trachten und danach streben, im Einklang mit der Weisung des Gewissens zu leben. Regierungsleiter sind gegenüber Gott verantwortlich „für ihr Verhalten...sei es im Geben von Gesetzen oder in der Anwendung zum Wohl und zur Sicherheit der Gesellschaft“ (LuB 134:1; bgl. 124:49-50).

Die Anwendung der vorhergehenden Prinzipien ist in der Geschichte durch eine Anzahl von Phasen gegangen. In der frühesten Phase war die Kirche notgedrungen eine kleine, verfolgte, religiöse Gruppe, welche nach religiöser Freiheit und einem Ort zum Verweilen trachtete, zunächst im Westen New Yorks und dann in Ohio, Missouri und Illinois. Während dieser Zeit verließ sich die Kirche bei der Verwaltung ihrer sozialen Struktuz meistens auf ihre eigene Organisation. Der Chartervertrag in Nauvoo erlaubte einige Überschneidungen von Kirche und Staat. Gegen Ende der Zeit in Nauvoo organisierte Joseph Smith den Rat der Fünfzig, welcher ein potentielles System bereitstellen sollte, worin die Regierung Christi im Millenium organisiert werden könnte.

Während des Auszugs aus Nauvoo im 19. Jahrhundert zum Großen Becken, verwaltete die Kirche soziale, politische und ökonomische Organisationen, da keine andere nutzvolle Organisation zur Verfügung stand. Kirchenführer arbeiteten daran, eine separate Regierungseinrichtung zu etablieren, zuerst in Deseret als ein Staat, dann im Gebiet Utah und in fortfahrenden Bemühungen, um Utahs Staatlichkeit zu sichern. Im 19. Jahrhundert war insbesondere die bundesstaatliche Regierung meistens eher eine feindliche als eine neutrale Kraft in der Gesellschaft. Dies verstärkte die Tendenz der Kirche, die Gesellschaft durch ihre eigenen  Verbindungen zu verwalten. Auch Träume vom Aufbau  Zions trugen zu der Tendenz bei, durch die Kirche zu wirken.

Nachdem das Manifesto im Jahre 1890 offiziell die Mehrehe beendete und Utah im Jahre 1896 die Eigenstaatlichkeit erwarb, ließ die Spannung zwischen Kirche und staatlichen Institutionen allmählich nach und gegenseitiges Vertrauen wuchs. Während des 20. Jahrhunderts setzte die Kirche eine beständigere separationistische Verfahrensweise fort und konnte frei ihre vornehmlich geistige Mission betonen. Die Kirche ist nun in gut über 100 Ländern etabliert. Diese Internationalisierung hat nochmals den Gedanken bekräftigt, dass die wesentliche Mission der Kirche innerhalb einer weiten Bandbreite legaler und politischer Systeme erreicht werden kann, solange es eine ausreichende Trennung von Kirche und Staat gibt, um einen effektiven Schutz religiöser Freiheit zu gewähren. Die Kirchenlehren bekräftigen eine Vereinigung von Werten in ihren Mitgliedern, welche die meisten Regierungen begrüßen: Familienstabilität, Ehrlichkeit, Fleißiges Arbeiten, Vermeidung von Drogenabhängigkeit, Loyalität gegenüber dem Land und Gehorsam gegenüber dem Gesetz. Das Ergebnis ist, dass die Kirche zur religiösen Vielfalt beiträgt, wo auch immer sie sich befindet, und gleichzeitig zur sozialen Stabilität und der Verbesserung mannigfaltiger Gesellschaften beiträgt.

[Siehe auch Bürgerpflichten; Verfassungsrecht; Legale und Gerichtliche Geschichte; Politik: Politische Geschichte; Politik: Politische Lehren.]

BIBLIOGRAPHIE

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Taylor, John. The Government of God. Liverpool, 1852.

W. COLE DURHAM, JR.