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“HANDCART COMPANIES”

Die große Anzahl bedürftiger Heiliger der Letzten Tage, die auf eine Reisemöglichkeit nach Utah warteten und dadurch zu einer schweren Belastung des Zehntenfonds wurden, brachte Brigham YOUNG <Young, Brigham, organisiert Transport mit Handkarren> 1855 zu der Überzeugung, daß die “bedürftigen Heiligen”, die von Liverpool in England aus nach New York reisten und dann mit dem Zug nach Iowa City fuhren, von dort aus “zu Fuß gehen und ihr Gepäck nach Utah ziehen” sollten. Im Jahr 1856 wurden fünf solcher Handkarrenkompanien gebildet, die sich auf den 2000 Kilometer langen Fußmarsch vom Bahnhof von Iowa City nach Utah machten. (Siehe EINWANDERUNG UND AUSWANDERUNG; ROUTE DER MORMONENPIONIERE IN DEN WESTEN.)

Der Erfolg schien offensichtlich, als die zwei ersten Handkarrenkompanien mit insgesamt 486 Einwanderern und 96 Handkarren am 26. September 1856 sicher in Salt Lake City eintrafen. Sie hatten den Zug in den Westen in weniger als 16 Wochen geschafft. Der dritte und letzte geplante Handkarrenzug jenes Jahres, der aus 320 Personen mit 64 Handkarren bestand, kam am 2. Oktober an. Tatsächlich befanden sich aber noch zwei weitere Handkarrenkompanien unterwegs, die sich gefährlich spät auf den Weg gemacht hatten. Eine dieser Kompanien, die von James G. Willie <Willie, James G.> geführt wurde, verließ am 15. Juli Iowa City, durchquerte den Bundesstaat Iowa, gelangte nach Florence (=Omaha) in Nebraska und machte sich dann nach einer Woche Zwischenaufenthalt auf den Weg quer über die amerikanischen Ebene. Die letzte Kompanie unter Edward Martins <Martin, Edward> Führung verließ Florence am 25. August. Drei andere, eigenständige Kompanien mit über 390 Einwanderern brachen ebenfalls noch so spät auf.

Eine Woche nach Abreise der Martin-Kompanie verließ Apostel Franklin D. Richards, der als Präsident der Europäischen Mission bei der Organisation der Handkarrenkompanien beteiligt gewesen war, mit sechzehn weiteren zurückkehrenden Missionaren die Stadt Florence. Da diese Gruppe beritten und in schnellen Kutschen unterwegs war, überholten sie am 7. September die Martin-Kompanie und am 12. September die Willie-Kompanie und erreichten am 4. Oktober Salt Lake City.

Apostel Richards Bericht darüber, wie viele Einwanderer noch unterwegs waren, war ein Schock für die Führung der Kirche, denn die noch so spät abgereisten Einwanderer waren für die kalte Jahreszeit, die nun bald bevorstand, nicht genügend ausgerüstet und hatten gleich den früher abgereisten, nur leicht ausgerüsteten Kompanien, viel zu wenig Lebensmittel bei sich. Da man mit diesen zusätzlichen Gruppen nicht gerechnet hatte, befanden sich die Versorgungswagen, die in die Berge geschickt worden waren, um die ankommenden Kompanien mit Lebensmitteln zu versorgen, bereits auf dem Nachhauseweg.

Präsident Brigham Young mobilisierte in der Erwartung des Schlimmsten alle Anwesenden, die gerade an der Generalkonferenz teilnahmen, und ordnete eine großangelegte Rettungsaktion an. Ein Trupp von 27 Männern unter der Führung von George D. Grant <Grant, George D.> verließ am 7. Oktober mit den ersten sechzehn von zweihundert Wagen Salt Lake City. Einige Mitglieder dieses Rettungstrupps waren die Missionare, die erst vor fünf Tagen aus dem Osten angekommen waren.

Zwei Wochen später brach einer der frühesten je verzeichneten Winterschneestürme über die Rocky Mountains Mittel-Wyomings herein. Nach mehreren Tagen des Ausharrens wurden viele der schlecht ausgerüsteten Einwanderer ein Opfer der Kälte.

Grants Rettungstrupp fand die Willie-Kompanie am 21. Oktober in einem schrecklichen Schneesturm, einen Tag, nachdem ihnen die Lebensmittel ausgegangen waren. Das Schlimmste stand ihnen jedoch noch bevor. Nach einem Rasttag, an dem sie neue Kräfte schöpften, mußte die Handkarrenkompanie durch den Sturm hindurch den langen und steilen Weg über den “South-Paß” nehmen. Nach Überquerung des Gipfels bestiegen sie, nun frisch gestärkt, die dort auf sie wartenden leeren Nachschubwagen und erreichten Salt Lake City am 9. November. Von 404 Personen waren 68 ums Leben gekommen, und viele litten an Erfrierungen und Unterernährung.

Den Einwanderern aus der Martin-Kompanie, die zu drei Viertel aus Frauen, Kindern und Alten bestanden hatte, war es noch schlechter ergangen. Als die Schneestürme am 19. Oktober losbrachen, errichteten sie ein Lager und lebten neun Tage von eingeschränkten Rationen, während sie darauf warteten, daß sich die Stürme wieder legten. Da ein Teil von Grants Rettungstrupp mit Nachschub bei der Willie-Kompanie verblieben war, zog der restliche Trupp auf der Suche nach der Martin-Kompanie mit acht Wagen durch den Sturm weiter nach Osten . Ein Suchtrupp wurde vorausgesandt und fand die Handkarrenkompanie 240 Kilometer östlich des South-Passes.

Das Lager der bereits desolaten Kompanie wurde sofort abgebrochen. Die Versorgungswagen kamen ihnen entgegen, die Lebensmittel reichten jedoch nicht aus, und nach weiteren 85 Kilometern schlug man in der Nähe des “Devil Gate” ein Lager auf, um auf weiteren Nachschub zu warten.

Die Rettungsaktion begann nun langsam zusammenzubrechen. Weitere Rettungstrupps, die im Sturm steckengeblieben waren, kehrten voller Angst und in der Annahme um, daß die Einwandererkompanien und Grants Rettungstrupp entweder ein Winterlager aufgeschlagen hatten oder im Sturm umgekommen waren.

Die Martin-Kompanie machte fünf Tage Rast. Als kein Nachschub kam, machten sie sich gezwungenerweise und völlig geschwächt erneut auf den Weg. Bis dahin waren 65 Personen ums Leben gekommen und nun häuften sich die Todesfälle auf bestürzende Art und Weise.

Die Hilfe kam in letzter Minute. Ein berittener Bote, der von Grant nach Salt Lake City geschickt worden war, erreichte einige Hilfsmannschaften, die die Rettungsaktion bereits aufgegeben hatten und schickte sie wieder auf den Weg. Mindestens dreißig Wagen erreichten die Martin-Kompanie, als diese gerade den “South-Paß” überqueren wollte, der die Willie-Kompanie beinahe vernichtet hätte. Die Angehörigen der Martin-Kompanie waren fast verhungert, erfroren und völlig kraft- und hoffnungslos. Viele konnten nicht mehr gehen und waren völlig am Ende ihrer Kräfte.

Man gab ihnen zu essen, warme Kleidung, transportierte die Gehunfähigen auf den Wagen und konnte die Reise nun etwas schneller fortsetzen. Die 104 Wagen der Martin-Kompanie kamen am 30. November in Salt Lake City an. Von 576 Personen waren mindestens 145 ums Leben gekommen und viele litten, gleich der Willie-Kompanie, an schrecklichen Erfrierungen und Unterernährung.

Teile der drei unabhängigen Wagenkompanien und die Rettungstrupps kämpften sich bis Mitte Dezember nach Salt Lake City durch. Zwanzig Männer waren unter Daniel W. Jones <Jones, Daniel W.> Führung am “Devils Gate” zurückgeblieben, um das Gepäck zu bewachen, das von den unabhängigen Kompanien zurückgelassen worden war, damit man die erschöpften Mitglieder der Martin-Kompanie auf deren Wagen laden konnte. Der Jones-Trupp litt am “Devils Gate” schreckliche Not. Schließlich blieb ihnen nur mehr Leder zum Kauen, bis ihnen freundliche Indianer Büffelfleisch schenkten.

Die Martin- und Willie-Kompanien noch so spät loszuschicken, war eine unverantwortliche Entscheidung. Mitte November wies Präsident Young die Verantwortlichen, die die späte Abreise der Kompanien zugelassen hatten, anstatt sie nach Florence zurückzurufen, als dies noch möglich gewesen wäre, voller Zorn zurecht, und warf ihnen “Unwissen, Fehlplanung und unehrenhaftes Verhalten” vor. Dennoch hätte dieses Unternehmen noch viel schlimmer ausgehen können. Wären nicht auf der Stelle noch vor Ausbruch der Stürme Rettungstrupps ausgeschickt worden, hätten alle Einwanderer sicherlich den Tod gefunden.

Nach 1856 überquerten noch sechs weitere Handkarrenkompanien die amerikanische Ebene in den Westen. Um die Zweckmäßigkeit dieser Reiseroute zu beweisen, reisten 57 Missionare im Frühjahr 1857 in die entgegengesetzte Richtung nach Osten. Weitere fünf Handkarrenkompanien mit insgesamt 1076 Einwanderern und 223 Handkarren erreichten den Westen ohne größere Schwierigkeiten, und zwar zwei im Jahr 1857, eine im Jahr 1859, und zwei im Jahr 1860. Insgesamt zogen 2.962 Einwanderer mit ihren Handkarren zu Fuß nach Utah, von denen 250 unterwegs ums Leben kamen (220 davon waren Opfer der Martin- und Willie-Kompanien).

Für die Heiligen der Letzten Tage ist das Unglück der Handkarrenzüge von Willie und Martin ein dunkler Punkt in der langen Geschichte der Besiedelung des Westens. Diese Ereignisse haben jedoch in Anbetracht der unglaublichen Leistungen der Handkarrenpioniere als auch der Rettungsmannschaften wichtigen Erinnerungswert. Besonders die Leistungen der Frauen sind erwähnenswert. Durch ihren Mut und ihre Tapferkeit hatten sie großen Anteil am Überleben der beiden Handkarrenkompanien, wodurch dies einerseits zum schlechtgeplantesten aber andererseits heldenhaftesten und stolzesten Einzelereignis der Geschichte der Mormonenpioniere wurde.

BIBLIOGRAPHIE

Cornwall, Rebecca und Leonard J. Arrington. Rescue of the 1856 Handcart Companies. Band II der “Charles Redd Monographs in Western History”. Provo, Utah, 1981.

Hafen LeRoy und Ann W. Hafen. Handcarts to Zion: The Story of a Unique Western Migration, 1856–1860. Band 14 der “Far West and the Rockies Historical Series”. Glendale, California, 1960.

Stegner, Wallace. The Gathering of Zion: The Story of the Mormon Trail. New York, 1964.

HOWARD A. CHRISTY