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GERECHTIGKEIT UND GNADE

Gerechtigkeit und Gnade sind göttliche Eigenschaften. Sie sind außerdem ewige Prinzipien. Die „Gerechtigkeit Gottes“ ist ein grundlegendes Prinzip. Ohne es „würde Gott aufhören, Gott zu sein“ (Alma 42:13). Die Gnade Gottes ist von entsprechender Bedeutung. Sie ist allgemein die ultimative Quelle aller Segnungen der Menschheit und insbesondere ist sie das Prinzip, das die Erlösung der Menschheit erst ermöglicht. Die gegensätzlichen Vorderungen der Gerechtigkeit, welche Bestrafung fordert, und der Gnade, welche Vergebung fordert, werden durch die vereinigende Macht des Sühnopfers Jesu Christi beigelegt.

Einerseits belohnt Gerechtigkeit die Rechtschaffenheit. „Und wenn wir irgendeine Segnung von Gott erlangen, dann nur, indem wir das Gesetz befolgen, auf dem sie beruht“ (LuB 130:21, siehe auch LuB 82:10). Andererseits fordert Gerechtigkeit Bestrafung als Konsequenz von Ungehorsam gegenüber den Gesetzen Gottes, denn „ich, der Herr, kann nicht mit dem geringsten Maß von Billigung auf Sünde blicken“ (LuB 1:31). Ebenso wie Gehorsam gegenüber göttlichen Gesetzen Segnungen bringt, verhängt die Gerechtigkeit eine Strafe für jeden Verstoß gegen die Gebote des Herrn (Alma 42:17-18, 22). Männer und Frauen werden „für ihre eigenen Sünden bestraft“ (A von F 2). Jeder wird auf diese Weise gemäß seinen oder ihren Werken gerichtet werden (Römer 2:5-6; 3 Nephi 27:14; Alma 41:2-6), wobei der Grad der Verantwortlichkeit gemäß des Ausmaßes der Kenntnis  und Strafbarkeit einer jeden Person variiert (2 Nephi 9:25; Mosia 3:11). Dennoch erlaubt das Prinzip der Barmherzigkeit dem Sühnopfer Christi, die Forderungen der Gerechtigkeit zu begleichen. Dies geschieht zu Gunsten des umkehrenden Übertreters, so dass Barmherzigkeit und Gerechtigkeit miteinander in Einklang gebracht werden.

Nicht einfach irgendjemand vermag sich zu Gunsten eines anderen auf die Barmherzigkeit berufen: „Nun gibt es keinen Menschen, der sein eigenes Blut opfern könnte, so daß es für die Sünden eines anderen sühne. [...] darum kann nichts Geringeres als ein unbegrenztes Sühnopfer für die Sünden der Welt Genüge tun“ (Alma 34:11-12). Allein Jesus Christus kann im Fleische solch ein unbegrenztes Sühnopfer „ein für alle Mal“ (Hebräer 34:11-12) aufgrund seiner Wesensart als der tatsächliche Sohn Gottes, der selbst frei von Sünde war, ausführen.

Barmherzigkeit wird nicht willkürlich entgegengebracht. Um alle individuell von den unverdienten Auswirkungen der Sünden, für die sie nicht verantwortlich sind, zu bewahren, zahlte das Sühnopfer ohne Vorbehalt die Strafe für die Übertretung Adams und Evas im Garten von Eden. Auf ähnliche Weise zahlt es für die unwissentlich begangenen Sünden (Mosia 3:11; siehe auch Mose 6:54). Allerdings beseitigt das Sühnopfer die Strafe für persönliche Sünden, für die man individuell verantwortlich ist, nur unter der Bedingung individueller Umkehr.

So bewahren Gerechtigkeit, Barmherzigkeit und das Sühnopfer eine präzise Integrität und eine logisch konstante Beziehung: „Und nun konnte der Plan der Barmherzigkeit nicht zuwege gebracht werden, wenn nicht ein Sühnopfer gebracht wurde; darum sühnt Gott selbst für die Sünden der Welt, um den Plan der Barmherzigkeit zuwege zu bringen, um die Forderungen der Gerechtigkeit zu befriedigen, auf daß Gott ein vollkommener, gerechter Gott sei, und auch ein barmherziger Gott. [...] Aber es ist ein Gesetz gegeben und eine Strafe festgesetzt und eine Umkehr gewährt; auf diese Umkehr erhebt Barmherzigkeit Anspruch; andernfalls erhebt die Gerechtigkeit Anspruch auf das Geschöpf [...] Denn siehe, die Gerechtigkeit macht alle ihre Forderungen geltend, und die Barmherzigkeit beansprucht auch all das Ihre; und so wird niemand als nur der wahrhaft Reumütige errettet“ (Alma 42:13, 15, 22, 24).

Barmherzigkeit ist somit wiederherstellend und nicht vergeltend oder willkürlich. Der Herr fordert einen Übertreter zur Umkehr, nicht um den Erretter dafür zu entschädigen, dass er die Schulden der Gerechtigkeit bezahlt. Vielmehr soll der Übertreter dadurch dazu gebracht werden, dass er sich einem bedeutungsvollen Prozess unterzieht, wodurch er Christus ähnliche Charaktereigenschaften entwickelt.

Zur gleichen Zeit hängt Barmherzigkeit letztendlich von Gott ab, der unverdiente Gnade entgegenbringt. Obwohl die Umkehr von eigenen Sünden eine Bedingung für Barmherzigkeit ist, „verdienen“ diejenigen, die Barmherzigkeit empfangen, diese niemals vollständig. Umkehr ist eine notwendige, aber nicht ausreichende Vorraussetzung für Erlösung und Erhöhung. „Denn wir wissen, daß wir durch Gnade errettet werden, nach allem, was wir tun können“ (2 Nephi 25:23). Die nicht durch eigene Kraft erworbene Barmherzigkeit kommt dadurch zum Ausdruck, dass das Sühnopfer bedingungslos die Unzulänglichkeiten ausgleicht, die dem Menschen durch den Fall Adams auferlegt wurden. Adam und Eva und ihre Nachkommenschaft waren völlig machtlos, den körperlichen und den geistigen Tod zu überwinden, welche beide durch den Fall gekommen waren. Darüberhinaus „bezahlen“ Übertreter durch den Umkehrprozess nicht den vollen Preis für ihre Sünden. Obwohl Umkehr eine Entschädigung im Maße der Fähigkeiten einer Person erfordert, gehen die meisten Formen von Entschädigung über die Fähigkeiten dessen, was eine jede Person erreichen kann, hinaus. Ganz gleich wie vollständig unsere Umkehr ist, wäre alles ohne einen Vermittler vergeblich, der willig und fähig ist, unter der Bedingung, dass wir umkehren, unsere Schulden gegenüber der Gerechtigkeit zu bezahlen Somit sind alle, auch mit aufrichtiger und vollständiger Umkehr, völlig von Jesus Christus abhängig.

Durch das Sühnopfer Jesu Christi sind Gerechtigkeit und Barmherzigkeit voneinander abhängig und wechselwirkend. Dies zeigt, dass Gott weder gerecht sein kann, ohne barmherzig zu sein, noch barmherzig sein kann, ohne gerecht zu sein.

BIBLIOGRAPHIE

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BRUCE C. HAFEN