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DANITER

Nach den Gewalttätigkeiten im Nordwesten des Bundesstaates Missouri im Jahr 1838, beschwerte sich der Mormonendissident Sampson Avard <Avard, Sampson>, der ein beliebter Zeuge bei Gerichtsverhandlungen war und belastende Beweismittel gegen HLT-Führer suchte, daβ die Kirche eine Reihe von bewaffneten Banden gegründet habe. Männer seien durch einen geheimen Eid verschworen und in illegale Aktivitäten gegen ihre Nachbarn verwickelt, die keine Mitglieder der Kirche wären. Mit der Veröffentlichung der Gerichtsprotokolle im Jahre 1841 wurde Avards Darstellung die Grundlage für alle künftigen Berichte von Nichtmormonen über Daniter. Somit war die Legende der “Daniter” geboren.

Obwohl in NAUVOO und in Utah keine Daniterorganisation bekannt war, hielt man an dem Gerücht weiter fest. Die Stereotypie der “Daniter” wurde ein Teil der amerikaweiten Diskussion über Utah und die Heiligen der Letzten Tage und blieb jahrzehntelang ein Hauptthema vieler Groschenromane. Bis 1900 erschienen mindestens fünfzig Romane in englischer Sprache, und zwar unter Verwendung des Daniter-Motivs, um Mord, Plünderung und Verschwörung gegen gewöhnliche Bürger thematisch auszuschlachten. Arthur Conan Doyle <Doyle, Arthur Conan> (A Study in Scarlet) läßt den berühmten Detektiv Sherlock Holmes einen von den Danitern verursachten Mord aufklären. Zane Grey <Grey, Zane> (Riders of the Purple Sage) und Robert Louis Stevenson <Stevenson, Robert Louis> (The Dynamiter) gehören zu den Autoren, die die teuflischen Daniter als passendes Sujet für das breite Publikum hielten, das sein Vergnügen im Sensationalismus suchte (Cornwall und Arrington). Das Thema der Daniter fand solch weite Verbreitung, daβ nur wenige Leser bereit waren, die Richtigkeit solcher Darstellungen in Frage zu stellen.

Die Wahrheit über die Daniter im Bundesstatt Missouri des Jahres 1838 ist gleichzeitig weniger und mehr als die Legende. Zeitgenössische Aufzeichnungen vermitteln ein grundlegend anderes Bild. Im Oktober 1838 beschrieb Albert Perry Rockwood <Rockwood, Albert Perry>, ein HLT-Einwohner von Far West im Bundesstaat Missouri, in seinem Tagebuch eine öffentliche Daniterorganisation, welche die gesamte HLT-Gemeinde einschloβ. Er beschrieb mit biblischen Worten Kompanien von zehn, fünfzig und hundert Personen (siehe Exodus 18:13–26) - ähnlich der Organisation, die die Pioniere später während der Auswanderung zum “Great Basin” [das große Tal im Westen] aufstellten. Diese Daniterorganisation umschloß den kompletten Bereich von Aktivitäten einer durch ein Bündnis verbundenen Gemeinschaft, die sich selbst als Wiederherstellung des alten Israels betrachtete. Die Daniter arbeiteten in Gruppen, einige zur Verteidigung, andere zur Versorgung und wiederum andere zur Errichtung von Unterkünften und dienten so den Interessen der Gemeinschaft. Dies war nicht die Geheimorganisation, von der Avard berichtet hatte; Rockwoods Briefe an seine Freunde und Familie waren sogar noch anschaulicher als sein Tagebuch (Jessee und Whittaker).

Im Herbst 1838 befand sich der Nordwesten des Bundesstaates Missouri im Kriegszustand (siehe MISSOURI, KONFLIKTE IN MISSOURI). Die alteingesessenen Einwanderer in Missouri schworen, die Mormonen zu vertreiben, bevor diese die politische Mehrheit erlangen könnten, und die HLT-Führer kündigten an, daβ sie kämpfen würden, bevor erneut ihre Recht mißachtet würde. Entfacht durch den Versuch, die Heiligen der Letzten Tage an den Wahlen zu hindern, begannen im August Gewalttätigkeiten, die sich rasch ausbreiteten. Es kam zu Gefechten zwischen staatlich anerkannten Milizen auf beiden Seiten. In dieser Zeit, die von Angst, Streitigkeiten und Verwirrung geprägt war, untergrub Sampson Avard <Avard, Sampson> offenbar sowohl die Ideale der Daniter, bei denen er wahrscheinlich Hauptmann war, als auch die der Miliz, in der er als Offizier diente. Er überredete seine Männer, verbrecherische Handlungen zu begehen, von denen er später behauptete, sie seien von der ganzen Gemeinschaft gebilligt worden. Vielleicht angespornt durch die resoluten Behauptungen von Führern, Macht mit Macht zu bekämpfen, aber anscheinend ohne ihre Zustimmung, nutzte Avard seine Daniter- und Militärpositionen aus und stellte insgeheim eine Überläuferbande zusammen, um Ausschreitungen gegen Mormonen zu rächen. Er hatte Erfolg, denn nachdem man den Gewalttätigkeiten wochenlang strikt mit Verteidigungsmaβnahmen begegnet war, stand Avard nicht mehr allein mit der Überzeugung da, daβ die Zeit der Duldsamkeit vorbei sei. Andere Zeitgenossen erinnerten sich später daran, daβ man heimlich Versammlungen abgehalten hatte, die man erst anschlieβend Joseph Smith berichtete. Daraufhin verurteilte Joseph Smith Avard, nahm ihm sein Kommando ab und löste die Außenseitergruppe auf. Obwohl diese Geheimorganisation nur von kurzer Dauer und ohne Vollmacht existiert hatte, bemächtigte sie sich dank Avards verzerrten und weithin veröffentlichten Aussagen der früheren Bezeichnung “Daniter”, und so wurde der einst ehrwürdige Name zum Synonym für offiziell gutgeheißene, geheime Gesetzlosigkeit.

Im Gegensatz dazu war die Offensive von fünfhundert Männern der (Mormon) Miliz aus dem Kreis Caldwell die Antwort auf zweimonatige unerbittliche Gewalttätigkeit und Plünderung keineswegs geheim. Mitte Oktober hatten sie kaum noch Verflegung, verlieβen ihre Verteidigungsstellung, gingen auf Nahrungssuche und bestraften ihre Feinde. Das war ein in aller Öffentlichkeit unternommener Versuch, ihre Lage durch einen Präventivschlag zu verbessern. Zwei Wochen später, als die Zahl ihrer Gegner gewaltig angewachsen und die Missouri-Miliz durch den Ausrottungsbefehl des Gouverneurs ermutigt worden war, ergaben sie sich und lieferten ihre Waffen aus.

Hinter diesen scheinbar geheimen und gesetzlosen Danitern der Legende stand in Wirklichkeit diese Außenseitertruppe, die 1838 kurze Zeit während des Kriegszustands existiert hatte. Es gibt keinerlei Hinweise auf eine spätere Existenz einer solchen Gruppe, und selbst im Jahre 1838 verdiente die Gemeinschaft der Heiligen der Letzten Tage als ganzes keine Schuld für die unbefugten Aktionen einiger weniger. Der Apostel Parley P. PRATT <Pratt, Parley P.> schrieb an seine Familie, als er Avards Geständnis vor Gericht gehört hatte: “Sie beschuldigen uns getan zu haben, was uns nie eingefallen wäre.” Vom Liberty-Gefängnisfaßte Joseph Smith am 16. Dezember 1838 die Situation so zusammen, wie er sie damals verstand: “Wir haben auch erfahren, seit wir im Gefängnis sind, daβ viel Falsches und Bösartiges, das die Heiligen irreleiten und ihnen schaden sollte, von Dr. Avard gelehrt worden ist und nicht von der Präsidentschaft, wie behauptet wird. ... Erst als die Präsidentschaft im Gefängnis war, erfuhr sie, daß Deratiges in der Kirche verkündet wurde. ... Der Präsidentschaft war das nicht bekannt, und sie ist deshalb daran unschuldig” (PWJS, S. 380).

Leider lieferte Avards Geschichte immer dann, wenn Heilige der Letzten Tage gehaβt und verfolgt wurden, eine schnelle Erklärung für jeden, der das Schlimmste wahrhaben wollte. Die Wirklichkeit war weit weniger sensationell.

BIBLIOGRAPHIE

Cornwall, Rebecca Foster und Leonard J. Arrington. “Perpetuation of Myth: Mormon Danites in Five Western Novels, 1840–90.” BYU Studies 23, Frühjahr 1983, S. 147–165.

Document Containing the Correspondence, Order, ETC. In Relation to the Disturbences with the Mormons; and the Evidence Given Before the Hon. Austin A. King. Fayette, Missouri, 1841.

Gentry, Leland H. “The Danite Band of 1838.” BYU Studies 14, Sommer 1974, S. 421–450.

Jessee, Dean und David J. Whittaker, Hrsg. “The Last Months of Mormonism in Missouri: The Albert Poerry Rockwood Journal.” BYU Studies 28, Winter 1988, S. 5–41.

Whittaker, David J. “The Book of Daniel in Early Mormon Thought.” In By Study and Also by Faith: Essays in Honor of Hugh W. Nibley on the Occasion of His Eightieth Birthday, Band 1, S. 155–201. Salt Lake City, 1990.

DAVID J. WHITTAKER

 

                                                     

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