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DAS BÖSE

[DerHLT-Grundsatz des Bösen wird auch im Artikel über Teufel erklärt. Der folgende Artikel bespricht eine Ansicht über den Zweck des Bösen und bietet eine HLT-Antwort auf traditionelle Diskussionen des Problems des Bösen.]
Im normalen Sprachgebrauch hat der Ausdruck „böse” einen weiten Bedeutungsspielraum. Neben dem Ausdruck „schlecht“ bezieht er sich [im Englischen] am häufigsten auf: moralisch falsche Absichten, Entscheidungen und Handlungen einer Person (moralisch böse), nicht menschliche Wirkungen wie Krankheit, Erdbeben, Vulkanausbrüche und Wirbelstürme (natürlich böse) und Schmerz und Leid bei Mensch und Tier (psychologisch böse), die moralische und natürliche Übel verursachen können. Im mehr technischen und philosophischen  Sinn bezieht es sich auch auf von Natur aus menschliche Beschränkungen und Mängel (metaphysisch böse).

Der Ausdruck hat zusätzliche Bedeutungen in HLT-Schriften und Ansprachen. Im Alten Testament ist der Ausdruck die Übersetzung für den hebräischen Ausdruck ra’. Und für seine verwandten Wörter, deren Anwendung von (1) etwas, was schrecklich schmeckt oder hässlich, unangenehm oder traurig ist, über (2) moralische Schlechtigkeit und der Kummer, das Elend und die Tragödie, die sich daraus ergeben, bis zu (3) bewusstem Ungehorsam Gott und seinem Plan für die Menschen gegenüber reichen. Die letzten zwei Bedeutungen des Ausdrucks überwiegen  im Neuen Testament und in modernen Schriften. Da die Bedeutungen so verschieden sein können, muss die genaue Bedeutung aus dem Zusammenhang ermittelt werden.

HLT-Schriften erhellen weiter biblische Hinweise auf Gottes Plan für seine Kinder. Dadurch kann eine grundlegende Bedeutung des Bösen erklärt werden. Gott offenbarte an Moses: „Es ist mein Werk und meine Herrlichkeit, die Unsterblichkeit [Auferstehung, mit immerwährender körperlicher Dauer] und das ewige Leben [Gott ähnliche Eigenschaften oder Seinszustand] des Menschen zustande zu bringen” (Moses 1:39). Demzufolge wäre alles böse, was dem Erreichen dieser Ziele entgegensteht oder nicht mit ihnen in Einklang steht.

Es scheint in den modernen Schriften keine Grundlage für sowohl die verneinenden als auch relativistischen Ansichten in Bezug auf das Böse zu geben, die einige Philosophen vertreten. Im fünften Jahrhundert schlussfolgerte St. Augustin, verwirrt durch die Existenz des Bösen in einer Welt, die von Gott geschaffen wurde, dass das Böse aus eigener Kraft kein Stoff und keine positive Realität sein kann, sondern nur die Abwesenheit des Guten (privatio boni). Allerdings wird das Böse im Alten und Neuen Testament als drohend real dargestellt. Das ist eine Ansicht, die auch die modernen Schriften widerspiegeln. Auch gibt es keinen schriftlichen Beweis dafür, dass das Gute und Böse nur vom persönlichen Geschmack abhängen. Die folgende Schriftstelle in Sprichwörtern lehnt diese Art von Relativismus ab und erklärt: „Manch einem scheint sein Weg der rechte, aber am Ende sind es Wege des Todes” (Spr. 14:12). Auch warnt Jesaja: „Weh denen, die das Böse gut und das Gute böse nennen, die die Finsternis zum Licht und das Licht zur Finsternis machen, die das Bittere süß und das Süße bitter machen.” (Jes. 5:20). Der Relativismus wird auch in den modernen Schriften zurückgewiesen (2 Ne. 28:8).

Nicht-Gläubige und Gläubige fragen oft gleichermaßen, wieso Gott die Existenz des Bösen in jeglicher Form erlaubt. Die Frage wird besonders von einer Augustinischen Weltansicht her akut, die bekräftigt, dass Gott ex nihilo besteht oder der absolute Schöpfer von allem ist, was außer ihm selbst existiert. In dieser Hinsicht scheint es, dass Gott die elementare Quelle oder der Anlass alles Bösen ist, oder zumindest ein wissender Gehilfe vor begangener Tat, und daher allein verantwortlich für alles Böse, das passiert.

Heilige der Letzten Tage lehnen die schwierige Vorraussetzung der Schöpfung ex nihilo (aus dem Nichts heraus) ab. Sie bekräftigen stattdessen, dass es tatsächliche Gegebenheiten gibt, die wie Gott ewig sind. Diese ebenso ewigen Gegebenheiten umfassen Intelligenzen (manchmal als ursprüngliches Ich oder Person wahrgenommen), chaotische Materie (oder Massenenergie) und Gesetze und Grundsätze (vielleicht am besten als Eigenschaften und Beziehungen von Stoff und Intelligenzen betrachtet). Aus dieser Vielheit nicht geschöpfter Dinge folgt innerhalb der HLT-Weltansicht nicht, dass Gott die Urquelle des Bösen ist. Das Böse andererseits lässt sich zurückverfolgen auf die Entscheidungen anderer autonomer Handelnder (wie Luzifer, der Satan). Diese sind ebenso ewig wie Gott und vielleicht selbst wie widerspenstige Eigenschaften nicht geschaffener chaotischer Materie.

Obwohl es auf der Grundlage von moderner Offenbarung deutlich ist, dass Gott weder die Quelle noch der Grund für das moralisch oder natürlich Böse ist, besteht immer noch die Frage, wieso er es nicht verhindert oder beseitigt. Der alte Philosoph Epikur warf das Problem in Form eines Dilemmas auf: Entweder ist Gott unwillens das Böse zu verhindern, das geschieht, oder er ist unfähig es zu verhindern. Falls er unfähig ist, dann ist er nicht allmächtig. Falls er unwillens ist, dann ist er nicht vollkommen gut. Epikurs Vortrag des Dilemmas basiert auf zwei Annahmen: (1) Ein vollkommen gutes Wesen verhindert so viel Böses wie möglich. Und (2) ein allmächtiges Wesen kann alles tun, also auch alles Böse verhindern.

Von einer HLT-Perspektive aus erscheint die erste Annahme falsch. Ein vollkommen gutes Wesen würde sicherlich wünschen, das höchste Maß an Gutem zu erreichen. Aber ein vollkommen gutes Wesen würde eine Erfahrung mit dem Bösen zulassen, wo eine notwendige Bedingung, das Bestmögliche zu erreichen, es von Natur aus erlaubt. Zum Beispiel scheint es einleuchtend, dass die Existenz des Gegensatzes und der Versuchung eine notwendige Bedingung für den Ausdruck der moralisch wichtigen Freiheit und der Entwicklung wahrhaft rechtschaffener Persönlichkeiten ist (siehe 2 Ne. 2:11-16; Moses 6:55).

Heilige der Letzten Tage würden auch die zweite Annahme ablehnen. Da es Realitäten gibt, die genauso ewig wie Gott sind, muss seine Allmacht nicht als Macht verstanden werden, die einen beliebigen Zustand der Dinge absolut herbeiführt. Vielmehr ist es eine Macht, die einen jeden beliebigen Zustand der Dinge in Einklang mit den Eigenschaften der ewigen Realitäten herbeiführt. Dieser Einblick ermöglicht einen vermittelnden Standpunkt in Bezug auf das Böse. Somit werden Epikurs grundlegende Annahmen durch moderne Offenbarung abgeändert, und es scheint möglich, einen einheitlichen HLT-Grundsatz in Bezug auf die Eigenschaften, den Gebrauch und die Existenz des Bösen aufzustellen (siehe Theodizee [Gottes Gerechtigkeit]).
[Siehe auch Große und greuelreiche Kirche; Sünde; Kampf im Himmel]

DAVID L. PAULSEN